Mit Instagram gegen den Pflegenotstand – @einfach.jean hat eine Mission

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Jeannine Fasold ist Baujahr ’73 und seit 2015 Kinderkrankenschwester. Sie arbeitet unter anderem mit jungen und alten Menschen mit verschiedenen Behinderungen und Einschränkungen oder – wie sie selbst sagt – mit „besonderen“ Menschen. Auf Instagram findet man sie unter dem Namen @einfach.jean. Dort berichtet sie von ihrem Arbeitsalltag und macht sich für die Pflege stark. Ihr Username ist nicht willkürlich gewählt worden, sondern einem lustigen Zufall zu verdanken: Ihr Profilname ist quasi berufsbedingt entstanden, denn im System ihrer Klinik wurde ihr eigentlicher Name immer verkürzt dargestellt – da stand dann einfach Jean.

Schon mit sechzehn Jahren war sie sich sicher, dass ein Beruf in der Medizin das Richtige für sie sein würde – doch damals war eine Ausbildung zur Krankenschwester erst ab einem Alter von 18 Jahren möglich und deshalb verlief ihr beruflicher Lebensweg dann doch etwas anders als geplant. Nach dem Realschulabschluss lernte Jean einen schnöden Bürojob, indem sie aber nie wirklich arbeitete, weil es einfach nicht ihr Ding war. Sie arbeitete immer in anderen Bereichen und wurde schließlich Vollzeitmutti. Mit vierzig Jahren und drei Kinder später (eines davon auch ein „besonderes“ Kind) fiel dann die Entscheidung: jetzt oder nie.

@Einfach.Jean begann 2010 zuerst die einjährige Ausbildung zur Pflegehelferin, wollte schauen wie es so läuft. Fazit: Alles klappte super. Jean war nicht nur Klassenbeste und wurde ausgezeichnet, sie kam auch super mit ihren jungen Kolleg*innen klar. Sie selbst sagt von sich: „Im Kopf bin ich chaotisch und vielleicht auch im Alter von dreißig Jahren stehengeblieben. Das hat einfach gut gepasst.“ Bei ihrer Ausbildung hat ihre Erfahrung als Mutter durchaus seine Vorteile gehabt. In der Praxis wurde sie von vielen Kolleg*innen nicht einfach nur als Schülerin gesehen und mehr respektiert. Trotz der späten Ausbildung arbeitete sie mit ihrem Team auf Augenhöhe zusammen und konnte in den Gesprächen mit Eltern von ihrer eigenen Erfahrung als Mutter profitieren. Dass sie von Beginn an ein tolles und passendes Team hatte, dessen ist sie sich bewusst. „Die Einstellung, mit der man auf eine neue Station kommt, ist enorm wichtig. Man muss offen sein und viel Verständnis haben – auch wenn man mal angeschnauzt wird. Da hilft ein wenig Lebenserfahrung dabei, Menschen besser einschätzen und so Konflikte besser lösen zu können.“

@einfach.Jean findet: „Die Pflege muss an einem Strang ziehen“

Auf ihrem Blog und auf Instagram setzt sich Jean gegen das „Pflegebitching“ ein – ein Problem, mit dem sie selbst schon oft konfrontiert wurde und gegen das sie etwas tun möchte. Pflegebitching (angelehnt an das englische Schimpfwort „Bitch“, eine abwertende Bezeichnung gegenüber Frauen) findet laut Jean überall in der Pflege statt. Wer nicht schon längst aus dem Beruf geflohen ist, gehört zu den „Lästerschwestern“ der Branche, die über Azubis und Gewerkschaften herziehen. Kollegiale Verhältnisse sind das nicht. „Das ist die große Misere des Pflegenotstandes: Die negative Einstellung vieler Pflegekräfte. Anstatt sich gegenseitig zu unterstützen, wird die Kollegin als blöd bezeichnet oder man behandelt andere von oben herab.“ Jean wünscht sich einen respektvolleren Umgang unter den Pflegekräften, aber auch über die verschiedenen Berufe hinweg.

Egal ob Pflegekraft oder Arzt. Wenn man mal mit einer Situation überfordert ist, sollte es sich nicht falsch anfühlen, um Hilfe zu bitten. „Die Pflege muss an einem Strang ziehen. Wir müssen ein offenes Ohr füreinander haben, uns gegenseitig helfen und mit Respekt behandeln.“ Dieses typische Anzicken findet sich nicht selten unter Kolleg*innen und dabei schadet es nicht nur dem Ruf des Berufes, sondern auch der Atmosphäre auf der Arbeit, die so oft angespannt ist. Und niemand möchte mit Kolleg*innen arbeiten, die sich gegenseitig anfeinden, oder?

Gebt nicht auf!

In ihrem Pflegeblog ist @einfach.Jean übrigens einfach so reingerutscht: Ihre Karriere als Pflegeinfluencerin begann mit ihrem privaten Profil und ein paar Posts über ihren neuen Job. Nachdem Jean 2015 als Kinderkrankenschwester begann zu arbeiten, merkte sie schnell, dass der Pflegeberuf auf Social Media stark unterrepräsentiert war. Das wollte sie ändern. So entstand nach und nach ihr Profil auf Instagram und auch ihr Blog „Pflegeflow“. Die Pflegerin und Mutter nutzt ihre Stimme im Netz. Jean erreicht so nicht nur Pflegekräfte, sondern verschiedene Berufsgruppen – die mit dem Thema Pflege bestimmt auch im Laufe ihres Lebens in Kontakt kommen werden. Diesen Menschen möchte sie von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen erzählen und ihre Message verbreiten: „Die Pflege ist ein Team! Wir müssen zusammenhalten.“

Jungen Menschen, die gerade in das Berufsleben gestartet sind und vielleicht ihre ersten Zweifel bekommen, möchte sie eins sagen: „Ihr dürft nicht aufgeben! Natürlich gelangt man in diesem Beruf auch mal an seine Grenzen, aber es wird besser, glaubt mir. Wenn ihr unzufrieden seid, mit eurem aktuellen Job oder den Kolleg*innen, dann lasst euch das nicht gefallen. Für Veränderungen muss man manchmal einfach nur was sagen. Ihr habt es in der Hand und könnt etwas ändern. Ihr müsst nicht bis zum Lebensende auf dergleichen Station versauern. Fangt nicht an zu pauschalisieren und sagt: Woanders ist es auch nicht besser. Das so stimmt einfach nicht.“

Gleiches Recht für alle Socken fordert @einfach.Jean

Jeans Erlebnisse als Kinderkrankenschwester sind oft besonders bewegend. In den letzten vier Jahren durfte die Mutter schon viele prägende Erfahrungen sammeln. „Ich lernte, wie wichtig Kommunikation in diesem Beruf ist und was diese leisten kann. Ich hatte Eltern, die verzweifelt ankamen, aber mit einem positiven Gefühl wieder gegangen sind. Unsere Patient*innen spiegeln einfach wider, wie gut wir unseren Job machen, wenn sie mit einem Lächeln wieder gehen können”.

Einer von Jeans kleinen Patient*innen war ein zweijähriges Kind, das nach einer Blutvergiftung in einem schlechten Zustand eingeliefert wurde. Nach dem Aufenthalt flossen sogar Tränen – weil der Junge dem Team so ans Herz gewachsen war und auch er und seine Familie Jean und ihre Kolleg*innen nicht mehr missen wollten. „Natürlich muss man die Distanz waren“, sagt Jean. „Aber manchmal geht das einfach nicht, da ist es anders und dann entstehen Beziehungen.“

Auf ihrem Blog und auf Instagram zeigt Jean auch gerne mal ihre Socken. Ja, ganz genau: Socken! Denn für Jean ist jeder Tag der Welt-Down-Syndrom-Tag, an dem man seit 2006 nie zwei gleiche Paar Socken trägt. „Ich liebe eh bunte Socken. Ich bin oft zu faul gewesen, zwei passende Socken rauszusuchen, hab sie nie sortiert und dann ging oft mal eine verloren. Deshalb ist jetzt jeder Tag für mich der Welt-Down-Syndrom-Tag.“ Für @einfach.Jean, die immer etwas aus der Reihe tanzt. Und nur ungern mit dem Strom schwimmt, war diese Aktion wie gemacht. Von nun an galt: Gleiches Recht für alle Socken – und deshalb gibt es jetzt nur noch eine große Schublade, in der ihre Socken willkürlich umherfliegen.

Ein offener Brief an Jens Spahn

Und wenn @einfach.Jean einmal nicht über ihre Arbeit als Kinderkrankenschwester berichtet oder sich für die Inklusion einsetzt, dann legt sie sich mit den ganz Großen an: Online spricht sie sich gegen den „Spahnsinn“ des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn aus. Sie kritisiert seine Rekrutierung von Pflegekräften aus Ländern wie Mexiko, dem Kosovo oder den Philippinen.

Anfang des Jahres machte sich Jean dann ihre große Community zunutze: Über ihr Social Media Profil meldeten sich in regelmäßigen Anständen immer mehr Pflegekräfte, die ihrem Ärger Luft machten oder sich den Kummer von der Seele sprechen wollten. Jean sammelte diese Nachrichten in einem Brief an Spahn. 22 Seiten umfasste das finale Dokument, adressiert an den Deutschen Bundestag. Jean verschickte den Inhalt per Post, E-Mail über Social Media und nahm sogar einen Podcast dazu auf, damit sich Herr Spahn ihre Wünsche auch „im Flieger anhören konnte“. Jean schrieb:

Ich bin Pflegekraft, Mutter, war pflegende Angehörige und ich habe Angst! Angst vor der Zukunft…vor der Pflegezukunft. Wir können so nicht mehr pflegen. Es passieren Dinge, die nicht passieren dürfen. Es sterben Menschen, liegen in ihren Ausscheidungen, bekommen keine würdevolle Pflege mehr …. Es ist nicht das Geld was fehlt. Es ist die Zeit! Zeit für Patient*innen, aber auch Zeit für uns.
Es kam auch eine Reaktion – das war aber leider nicht ganz die erhoffte Wirkung. Als Antwort erhielt sie einen diplomatischen Brief des Bürgertelefons im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, unter anderem mit dieser Antwort:

Auch in der laufenden Legislaturperiode werden die Anstrengungen zur Verbesserung in der Pflege tatkräftig fortgesetzt. Bereits am 9. November 2018 hat der Bundestag dazu das Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals beschlossen. Mit dem Gesetz sollen spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte durch eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege erreicht werden. Informationen zu den Maßnahmen bekommen Sie auf der Internet-Seite des Bundesministeriums für Gesundheit.

Erhofft hätte sich die Bloggerin bestenfalls eine Einladung zum direkten Gespräch – vielleicht gar nicht unbedingt sie selbst, einfach mit jemandem aus der Branche, jemand der weiß wie es wirklich in diesem Beruf aussieht. Ein offener Dialog und der Willen, etwas zu verändern wäre toll gewesen. „Ich als Pflegekraft möchte ernst genommen werden. Wenn die Minister*innen einen Pflegedienst oder eine Klinik offiziell besuchen, ist für die Presse immer alles geschniegelt und gestriegelt. Alles ist schön – aber so ist es nunmal in der Realität nicht. Wenn das Ministerium uns einladen und mit uns reden würde, dann würden die das vielleicht mal selber merken. Aber das passiert leider nicht.“

In der Pflege muss sich so einiges ändern – da sind sich @einfach.Jean und ihre 9.000 Follower einig. Konkret wünscht sich die 46-jährige ein flexibleres Schichtsystem, damit mehr Menschen der Einstieg in den Beruf als Pflegekraft ermöglicht wird. Denn von vielen Menschen aus ihrer Community hört sie oft, dass viele den Job gerne machen würden, es aber schlichtweg nicht können. Pflegekräfte müssten nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Förderungen für Umschulungen und Weiterbildungen erhalten. „Außerdem sollte man diesen Beruf auch mit einer Familie ausüben können. Kitaplätze und eine Betreuung, wenn das Kind krank wird, sollten selbstverständlich sein. Besonders das Gehalt ist da wichtig. Wie soll denn ein Vater mit dem Beruf des Pflegers seine Familie ernähren können? Alleinerziehende Väter und Mütter, aber auch generell Familien, sollten viel besser unterstützt werden.“

Berufseinsteiger*innen gibt Jean den Tipp, es einfach mal auszuprobieren. Ein Praktikum, mehrere Stationen ausprobieren und die Probezeit zu nutzen, kann unterschiedliche Eindrücke vermitteln und zeigen, wo man am Besten aufgehoben ist. Außerdem sollte man immer das positiv sehen. „Wir Pflegekräfte haben nach der Frühschicht immer eher Schluss als alle anderen, man kann ganz wunderbar seine Weihnachtseinkäufe unter der Woche erledigen. Der Beruf ist immer abwechslungsreich, jeder Tag ist anders, jeder Tag bringt eine neue Herausforderung mit sich. Es wird nie langweilig.“

Jean betont mehrfach: „Wir Pflegekräfte müssen an einem Strang ziehen. Nur so können wir etwas verändern. Meckern allein bringt gar nichts.“ Diese Message teilt sie auf Social Media und gibt keine Ruhe, bis sich endlich etwas ändert.

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