Das Renteneintrittsalter ist auf 67 Jahre angesetzt. Angenommen man fängt mit 18 Jahren eine Ausbildung zur Pflegefachkraft an, arbeitet man 49 Jahre in der Pflege. Fast fünf Jahrzehnte, in denen man selber möglichst fit und gesund sein sollte, um anderen eine gute Pflege bieten zu können. Doch der Job ist anstrengend – er fordert nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Dazu kommt der Pflegenotstand mit all seinen Problemen, wie Fachkräftemangel, erhöhter Arbeitsbelastung, fehlender Wertschätzung und Anerkennung der Leistung, struktureller Gewalt und unfairem Gehalt. Deswegen stellt sich die Frage heutzutage mehr denn je: Ist es überhaupt noch möglich, unter diesen Arbeitsbedingungen bis zur Rente in der Pflege zu arbeiten? Und falls nicht: Was muss sich ändern?
Herausforderungen für Pflegekräfte heute
Wer in der Pflege arbeitet, muss physisch stark sein und psychisch belastbar. Patient*innen müssen gehoben und gelagert werden, Pflegekräfte müssen lange stehen und gehen, arbeiten lange und im Schichtdienst. Da sie auch mit vielen Leidensgeschichten zu tun haben, kommt auch noch emotionaler Stress hinzu. Der Fachkräftemangel, die fehlende Wertschätzung und die allgemein schlechten Arbeitsbedingungen verschärfen die Situation: Das Personal steht unter starkem zeitlichen Druck und hat in normaler Besetzung oft schon Probleme, alle Patient*innen und Bewohner*innen adäquat zu versorgen. Fallen erkrankte Kolleg*innen aus, ist es keine Seltenheit, dass Pflegende aus Freizeit oder Urlaub einspringen müssen. Sonst könnte die Patient*innenversorgung nicht gewährleistet werden. So ist die Arbeitsbelastung immens und es gibt kaum Raum zur Erholung. Auch der demografische Wandel wirkt sich auf den Pflegeberuf aus. Viele Pflegende sind schon älter. Sie werden zwar nicht häufiger krank, fallen aber meistens länger aus. Kein Wunder also, dass Pflegekräfte überdurchschnittlich krank sind – und psychische Erkrankungen nehmen in der Berufsgruppe zu. So erkranken sie häufig an Burnout, Depressionen, chronischen Schmerzen, Schlafmangel und anhaltender Erschöpfung. Es kann auch zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) kommen. Aber auch der Körper wird stark strapaziert und Rückenschmerzen, Infektionskrankheiten und Bandscheibenvorfälle sind keine Seltenheit.
„Ende März hat sich mein ganzes Leben geändert“
Für Angelique aus unserer Community ist der Job als Pflegerin vorerst Geschichte. Sie ist mit ihren 21 Jahren schwer erkrankt: Im März 2023 erhielt sie die Diagnose Bandscheibenvorfall. In ihrem Beruf musste sie mehrfach am Tag schwere Menschen alleine heben und lagern. Die erste Diagnose beim Arzt war: Hexenschuss. Obwohl sie sich mehrere Meinungen einholte, konnten Hausärztin, Klinikum und auch Orthopäde die eigentliche Ursache nicht entdecken. Behandlung: Schmerzinfusionen. Die die Schmerzen aber nicht aufhörten, musste Angelique ins Krankenhaus. Das MRT zeigte deutlich, dass sie einen schweren Bandscheibenvorfall hatte. Auf die erste Operation folgte die Reha, in der sie alles wieder mühsam lernen musste: Treppen steigen, laufen, Autofahren usw. Danach ging es 6-8 Wochen zum Rehasport, im Anschluss sollte sie laut der Ärztin im Krankenhaus wieder arbeiten können. Ihre Hausärztin meinte jedoch, dass Pflegekräfte nach einem Bandscheibenvorfall meistens noch sechs Monate krank geschrieben werden. Angelique war optimistisch, dass sich bald eine Besserung einstellen würde, aber leider kamen die Schmerzen wieder und verschlimmerten sich. Also wieder ins Krankenhaus, MRT und die erschreckende Nachricht: zweiter Bandscheibenvorfall – genau an derselben Stelle. „In dem Moment ist erstmal eine Welt für mich zusammengebrochen“, schrieb sie uns. So ging das Ganze nochmal von vorne los und erneut wurde ihr attestiert, dass sie nach dem Rehasport wieder arbeiten gehen könnte. Aber leider ist immer noch keine Besserung in Sicht. Ganz im Gegenteil: Angelique muss wahrscheinlich noch einmal ins MRT und erst dann wird sich zeigen, ob sie noch eine dritte OP brauchen wird. Wenn das der Fall wäre, müsste ihre Bandscheibe versteift werden.
Der Fall zeigt: Nicht immer ist die erste Diagnose richtig. Deswegen appelliert Angelique: „Hört bitte immer auf euer Bauchgefühl! Wenn etwas nicht stimmt, holt euch noch eine andere Meinung ein!“
Präventive Maßnahmen zum Erhalt der Gesundheit wichtig
Dass Pflegekräfte ein hohes Risiko haben, berufsbedingt zu erkranken, ist Fakt. Was könnte also getan werden, um ihre Gesundheit präventiv zu schützen? Laut der Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege sind vor allem die Arbeitgeber gefragt. Sie sollten ein langfristiges und nachhaltiges Gesundheitsmanagement entwickeln, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen zu erhalten.
Physische Ebene
- Pflegeeinrichtungen sollten Schulungen zur richtigen Hebe- und Tragetechnik anbieten, um Verletzungen vorzubeugen
- Hilfsmittel wie Hebebühnen und Rollstühle sollten gestellt werden
- Regelmäßige Pausen gewährleisten
- Körperliche Fitness fördern, zum Beispiel durch finanzielle Unterstützung bei Fitnessprogrammen
Psychische Eben
- Förderung von Selbstfürsorge und Stressbewältigung entscheidend
- Supervisionen und regelmäßige Gespräche mit Kolleg*innen können helfen, emotionalen Stress zu bewältigen
- Arbeitgeber können auch psychologische Unterstützung und Beratungsdienste anbieten, um Pflegekräften in schwierigen Zeiten beizustehen
Werden all diese Maßnahmen umgesetzt, könnten Pflegekräfte ihre wertvolle Arbeit bis zur Rente ausüben, während sie gesund sind und auch motiviert bleiben.
Umfrage-Ergebnis: Bis zur Rente geht’s nur unter bestimmten Voraussetzungen
“Könnt ihr euch vorstellen, bis zur Rente in der Pflege zu arbeiten?“ Die Frage haben wir unserer Community auf Instagram gestellt. Das Ergebnis ist klar: Der Großteil liebt den Beruf und möchte eigentlich gerne lange als Pflegekraft arbeiten – aber nur unter bestimmten Vorraussetzungen: Entweder in Teilzeit oder nur, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Knapp ein Drittel der Umfragen-Teilnehmer*innen aus der Community sagen aber auch, dass sie nicht bis zur Rente in der Pflege arbeiten können, weil sie a) körperliche Beschwerden haben oder b) die Arbeitsbedingungen zu schlecht sind.
Erschreckend ist, dass fast alle Umfragen-Teilnehmer*innen Kolleg*innen hatten, die schon vor der Rente gekündigt haben – und in den letzten Jahren soll das zugenommen haben.
Wer von euch kann sich vorstellen, noch bis zur Rente in der Pflege zu arbeiten?
Was müsste sich ändern, damit Pflegekräfte bis zur Rente in der Pflege bleiben können?
Es muss sich einiges tun, damit Pflegekräfte ihren Job bis ins hohe Alter ausüben können. Hier die Wünsche unserer Instagram-Community:
- Mehr Personal, damit Pflegebedürftige gut und richtig versorgt werden können
- Mehr Wertschätzung – auch von Seiten der Politik – und gegenüber älteren Pflegekräften
- Bessere Arbeitsbedingungen
- Mehr Zeit für die Patient*innen
- Faire Bezahlung
- Mehr Erholung: Pausen gewähren, mehr Freizeit, mehr Urlaub und gesicherte Freizeit ohne Einspringen
- Flexible Arbeitszeiten, weg vom Schichtdienst
- Mehr Entlastungen von körperlichen Arbeiten, weniger Stress, weniger Nachtdienste
- Dienstpläne auf individuelle Bedürfnissen und Lebenssituationen zuschneiden
- Ausbildungsinhalte optimieren, z.B. Kinästhetik intensiv und Sexualität behandeln
- Früheres Renteneintrittsalter
- Weniger Dokumentation
- Dauerhafte finanzielle Unterstützung bei Gesundheitsprogrammen (z.B. Fitness, Yoga etc.)
- Größere Akzeptanz der Berufsgruppen untereinander schaffen
- Teamzusammenhalt sollte vom Betrieb gefördert statt unterbunden werden
- Beamtenstatus wie bei der Polizei
- Bessere Abgrenzung der Tätigkeiten
- Ethische Grundlagen auch in der Praxis leben und nicht nur auf dem Papier
- Privatisierung aufheben
Fazit: Bereitschaft ist da, Optimierungen sind nötig
Viele Pflegekräfte sind durchaus bereit, bis zur Rente in der Pflege zu arbeiten. Allerdings nur, wenn sich die Arbeitsbedingungen ändern – das wurde auch in unserer Umfrage deutlich. Die widrigen Umstände zwingen allerdings momentan viele dazu, in Teilzeit zu arbeiten oder die Branche zu wechseln, weil der Status Quo nur noch schmerzlich zu ertragen ist. Zusätzlich ist es wichtig, dass Arbeitgeber präventive Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen anbieten. Aber auch jede/r Einzelne sollte darauf achtet, dass er/sie gesund lebt in Bezug auf Ernährung, Sport, Erholungspausen und sozialen Kontakten. Die Wahrscheinlichkeit im Pflegeberuf, physisch oder auch psychisch schwer zu erkranken, ist hoch. Ob sie dann noch in ihrem Beruf bis zur Rente arbeiten können, ist fraglich.
Wir drücken auch Angelique die Daumen, dass sie keine dritte Operation benötigt, wieder gesund wird und in einer anderen Position in der Pflege weiterarbeiten kann. Alles Gute!