„Wenn wir uns zusammenschließen, haben wir unheimlich viel Potenzial.“
Eva Maria hat als zentrale Praxisanleiterin genau den Platz in der Pflege gefunden, der zu ihr und ihrem Lebensentwurf passt. Die 24-Jährige ist glücklich mit ihrem Beruf, aber sie verschließt auch vor den Schattenseiten der Pflegebranche nicht die Augen. Statt angesichts nicht enden wollender Schichten und akutem Personalmangel zu verzagen, stößt Eva auf ihrem Instagram-Account @mein_pflegeweg aktiv Veränderungen an und will Pflegekräfte dazu animieren, es ihr gleich zu tun und sich für sich selbst und ihre Profession einzusetzen.
Warum hast Du dich dafür entschieden, in die Pflege zu gehen?
Ursprünglich wollte ich Ingenieurin werden, aber ich habe mich dann umentschieden, weil ich gemerkt habe, dass ich etwas machen will, bei dem ich anderen Menschen helfen kann und etwas Sinnvolles leiste. Es war mir auch wichtig, in meinem Umfeld aktiv helfen zu können, wenn jemand Beschwerden hat. Deswegen habe ich mich allgemein für die Pflege entscheiden und für das Studium der Pflegewissenschaften im Speziellen, weil es mir angeboten wurde ich die Anforderungen dafür erfüllt habe.
Bereust Du es manchmal, Dich nicht für das Ingenieurwesen entschieden zu haben?
Im allgemeinen nicht, aber es gibt natürlich Punkte, bei denen ich mir denke, es wäre einfacher, wenn ich Ingenieurin geworden wäre. Wahrscheinlich würde ich mehr verdienen und auch die Arbeitsbedingungen wären wohl besser. Da ich jetzt aber das Studium und als Praxisanleiterin einen super Job habe, der mir auch viel Freiraum gibt und die Schichtarbeit jetzt weggefallen ist, bereue ich die Entscheidung für die Pflege nicht. Hier hat man auch viele Möglichkeiten.
Würdest Du anderen Pflegekräften dann auch prinzipiell zu einem zusätzlichen Studium raten oder war das nur für Dich persönlich der richtige Weg?
Auf jeden Fall. Wenn man das Abitur hat und sein Blickfeld erweitern und über den eigenen Tellerrand hinaus schauen möchte, würde ich ein Pflegestudium jedem empfehlen. Wenn das aus bestimmten Gründen gehen sollte, dann sollte man auf jeden Fall Fort- und Weiterbildungen in Betracht ziehen. Da hat man dann einfach viel mehr Möglichkeiten und kann auch in die Richtung gehen, die einen persönlich am meisten interessiert.
Was war der Anlass dafür, dass Du Deinen Instagram-Account gestartet hast?
Ich habe meine Bachelorarbeit über Onlinekurse zum Thema Praxisanleitung geschrieben und da habe ich mich schon ein bisschen mit Onlinemarketing beschäftigt. Ursprünglich wollte ich den Kanal nutzen, um über pflegewissenschaftliche Themen zu berichten, aber ich bin dann immer mehr auf die Selbstpflege- und Empowerment-Schiene gerutscht. Ich habe einfach gemerkt, hier ist noch viel viel mehr Bedarf.
Du setzt dich auf deinem Kanal auch mit den Problemen der Pflegebranche auseinander. Hast Du selbst an einem Punkt in Erwägung gezogen, Dich aus der Pflege zurückzuziehen?
Ja, absolut. Als ich auf der Intensivstation gearbeitet habe, hatte gravierende Schlafprobleme und auch kaum Zeit für Freunde und Familie. Da wusste ich, dass ich etwas ändern muss. Ich habe dann eigentlich nur das Ende des Studiums abgewartet. Und jetzt bin ich ja nicht weg vom Bett, aber ich habe den großen Vorteil, dass ich nicht mehr im Schichtdienst arbeiten muss.
Was würdest Du Pflegekräften raten, die vielleicht nicht die Option haben, noch ein Studium anzuschließen und mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden sind?
Ich würde ihnen raten, in anderen Bereichen zu hospitieren. Und sich zum Beispiel eine Intensivpflege-WG anzusehen oder in ambulanten Diensten oder Praxen zu hospitieren, sich generell ganz unterschiedliche Formen der Pflege anzusehen. Dabei öffnen sich dann auch ganz andere Perspektiven.
Man sollte sich auch damit beschäftigen, was man sonst noch machen kann, um etwas zu ändern. Vielleicht kann man die Arbeitszeit reduzieren, wenn es einem zu viel wird. Dazu gehört dann auch, sich mit seinen eigenen Finanzen auseinander zu setzen. Man muss sich dann fragen: Wie viel Geld brauche ich eigentlich, kann ich es mir leisten, weniger zu arbeiten, in einen anderen Bereich zu gehen oder auf die Schichtzulagen zu verzichten?
Neben den Problemen der Arbeitsbedingungen sprichst Du unter anderem auch Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der Pflege an. In welchen Bereichen kann die Pflege noch verbessert werden?
Vor allem müssen sich die Pflegekräfte trauen, streiken zu gehen und sich öffentlich politisch zu engagieren. Da muss die Pflege definitiv besser werden. In anderen Branchen ist es üblich, seit Beginn der Ausbildung, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein und streiken zu gehen, aber in der Pflege fehlt dafür noch das Bewusstsein. Und natürlich auch der Klimaschutz. Diese Themen rücken stark in den Hintergrund, weil es momentan derartig massive Personalprobleme gibt. Auf den ersten Blick erscheint das dann nicht akut und nebensächlich, aber das ist auf jeden Fall auch ein Thema, das uns betrifft.
Eines Deiner Anliegen ist es, in der Pflege „New Work“ zu etablieren. Wie könnte das konkret aussehen?
Ich stelle mir vor, dass die Arbeit individualisiert wird und besser auf das Leben der Arbeitnehmer*innen abgestimmt werden kann. In meinem Fall ist es so, dass ich teilweise auch im Home Office arbeiten kann, das ist das Richtige für mich, aber eine Kollegin von mir arbeitet lieber im Büro.
Auch direkt in der Pflege soll es statt dem Schichtdienst verschiedene und individuelle Arbeitszeitmodelle geben. Es muss auch mehr Möglichkeiten für Mütter geben. Ich habe über Instagram schon mit einigen Pflegekräften geschrieben, die jetzt auf Bereiche ausgewichen sind, die Ihnen eigentlich nicht so gut gefallen, einfach weil sie im Krankenhaus keine Stelle angeboten bekommen haben, die zu ihnen passt.
Mit „New Work“ meine ich aber auch, dass die Digitalisierung voran gebracht wird – und zwar so, dass ein echter Mehrwert entsteht.
Für mich gehört zu dem „New Work“-Gedanken auch, die Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen stärker im Blick zu haben. Wenn sie auch mal drei oder vier Monate eine Auszeit nehmen könnten, wäre der Beruf gerade für junge Pflegekräfte viel attraktiver.
In einem deiner Posts schreibst Du, dass Du optimistisch auf die Zukunft der Pflege schaust. Was stimmt Dich so zuversichtlich?
Ich bin so optimistisch, weil man momentan als Pflegekraft eigentlich am längeren Hebel sitzt. Man muss sich nicht alles gefallen lassen und das ist genau die Chance, die die Pflege braucht. Die Arbeitgeber sind davon abhängig, dass wir die Pflegearbeit leisten. Wenn wir das ausnutzen und uns zusammenschließen würden, dann gäbe es ein riesiges Potenzial für Veränderungen. Die Pflege muss es nur schaffen, sich zusammenzuschließen und sich nicht einschüchtern zu lassen von den Arbeitgebern.
Das haben wir ja gerade wieder bei dem Streik der Mitarbeiter*innen der Vivantes-Kliniken und der Charité in Berlin gesehen. Da haben die Arbeitgeber gesagt, die Pflegekräfte würden mit ihrem Streik Menschenleben gefährden. Das ist ganz typisch, aber das ist einfach nur eine Einschüchterungsmethode, das geht so nicht. Denn es ist ja das Gegenteil der Fall. Wenn man sich traut, da Grenzen zu setzen und auch mal nein zu sagen, sehe ich da ganz viel Potenzial.
Glaubst Du, die Aufmerksamkeit, die die Pflege durch Corona bekommen hat, könnte die Verhandlungsposition der Pflegekräfte zusätzlich bestärken?
Grundsätzlich ja, aber ich glaube, jetzt ist es schon wieder zu spät dafür. Die Welle, die am Anfang da war, ist jetzt schon wieder abgeebbt. Am Anfang haben die Medien und die Politik ja sehr auf die Pflege geschaut, aber ich glaube, jetzt gerade versuchen sie eher, das Thema so gut es geht im Hintergrund zu halten. Es sind eben immer nur ein paar wenige, die sich da engagieren und an die Öffentlichkeit gehen.
Man merkt aber auch auf Instagram, dass immer mehr dazu kommen und einen Pflegekanal rausbringen. Und das ist auch gut so. Ich denke jede Pflegekraft ist da in der Verantwortung, das Thema ein Stück weit in die Öffentlichkeit zu holen.
Hast Du konkrete Vorschläge oder Wünsche an die Politik, wie Verbesserungen in der Pflege angestoßen werden können?
Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass sich die Politiker*innen für die Bundespflegekammer einsetzen. Und, dass die Personaluntergrenzen auf jeder Station eingeführt werden. Auch finanzielle Zuschüsse zu Fort- und Weiterbildungen würden die Attraktivität der Pflegeberufe erhöhen. Außerdem sollten die Studienplätze weiter ausgebaut werden und unkomplizierte Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Ich behaupte nicht, pflegen kann jeder, aber ich bin dafür, dass man die Schüler*innen von allen Schularten abholt. Egal ob man auf der Hauptschule, der Realschule oder dem Gymnasium ist, wenn man charakterlich für die Pflege geeignet ist, muss es mit jedem Abschluss möglich sein, in die Pflege zu gehen. Und natürlich viel mehr alternative Arbeitszeitmodelle schaffen, vor allem Altersteilzeit ab 55 ohne Einbußen bei der Rente. Wenn man es bis 55 in der aktiven Pflege ausgehalten hat, hat man das wirklich verdient, denke ich.
Was sind Deine Ziele für die Zukunft? Für Dich als Pflegekraft, aber auch für Deinen Account?
Ich persönlich möchte auf jeden Fall in der Praxisanleitung noch weiter Fuß fassen und in diesem Bereich bleiben. Das gefällt mir richtig gut und hier möchte ich auch noch einige Änderungen anstoßen. In Richtung Professionalisierung ist noch einiges zu tun und das ist mir sehr wichtig. Da muss auch noch viel mehr aufgeklärt werden, welche Stellen es für Absolvent*innen eines Pflegestudiums überhaupt gibt.
Auf Instagram ist mein Ziel, die verschiedenen Themen anzusprechen. Langfristig möchte ich auch einen Online Kurs zum Thema Empowerment und Selbstpflege anbieten, um den Pflegekräften in dieser Hinsicht ganz praktisch neue Anreize zu vermitteln.