Immer mehr Gesundheitsunternehmen setzen auf so genannte „Fangprämien“, um die Lücken in den Pflegeteams zu füllen. Dazu gehören Antritts- oder Wechselprämien, aber auch Mitarbeiter*innenempfehlungsprämien. Erstere sollen Pflegekräfte dazu motivieren, sich für eine Stelle zu bewerben. Sie erhalten die Wechsel- bzw. Willkommensprämie jedoch erst, wenn sie tatsächlich eingestellt werden. Letztere stehen im Zusammenhang mit sogenannten „Mitarbeiter*innen werben Mitarbeiter*innen“-Programmen: Pflegekräfte erhalten eine Prämie, wenn sie eine geeignete Person für eine freie Stelle im Unternehmen finden. In manchen Fällen erhält auch die angeworbene Pflegekraft eine Prämie.
Prämien können in Geldform ausgehändigt werden oder auch in Form von anderen Benefits, z.B. mehr Urlaubstagen.
Wir haben Maja Roedenbeck Schäfer, Leiterin Strategisches Recruitment bei den DRK Kliniken Berlin und HR Bloggerin, nach ihren Erfahrungen mit Fangprämien in der Pflege gefragt.
Welche Vor- und Nachteile bieten Wechselprämien und Mitarbeiter*innenempfehlungsprogramme in der Pflege?
Ein Nachteil bei beiden Methoden ist, dass sie Geld kosten. Aber Personalgewinnung kostet immer Geld. Vakanzen kosten Geld und Leasingpersonal auch. Das muss man gegeneinander aufrechnen. In diesem Fall profitiert nicht ein*e Dienstleister*in, sondern ein*e Mitarbeiter*in. Man schlägt als Unternehmen also mit ein und derselben Ausgabe zwei Fliegen mit einer Klappe. Man füllt erstens eine Lücke in einem Team und macht zweitens eine*n Mitarbeiter*in glücklich und investiert damit in die Mitarbeiter*innenbindung.
Zu den Vorteilen von Mitarbeiter*innenempfehlungsprogrammen gehört, dass die Stimmung in den Teams besser wird, wenn dort Menschen zusammenarbeiten, die sich bereits aus anderen Zusammenhängen kennen und mögen. Gerade in der Pflege, wo schlechte Stimmung in den Teams oft als Grund für die Abwanderung ins Leasing oder einen Pflexit angegeben wird, ist das wichtig. Nur ganz selten passiert es mal, dass die Zusammenarbeit mit Freund*innen dann doch nicht so gut klappt wie gedacht oder dass der oder die Bekannte schlechte Arbeit leistet und es peinlich für die empfehlende Person wird. Es ist aber ein Risiko, das die empfehlenden Personen bedenken müssen und das manche auch von der Empfehlung abhält.
Eine Belohnung in Form von Geld (auch wenn es nicht unbedingt besonders viel sein muss) wird darüberhinaus oft als wertschätzender erlebt als eine Belohnung in Form von Schokolade oder ähnlichen Geschenken. Nicht zu Unrecht sind Pflegekräfte genervt, wenn sie z.B. zum Internationalen Tag der Pflege mit billigen Give-aways als Dankeschön abgespeist werden und damit dann auch noch für die Unternehmensfotograf*innen posieren sollen. Ganz besonders beim Thema Recruiting, wo jede*r weiß, dass für die entsprechenden Kampagnen viel Geld ausgegeben wird, kann man sich leicht in die Nesseln setzen.
Nicht zuletzt haben die Mitarbeiter*innen bei der Teilnahme am „ Mitarbeiter*innen werben Mitarbeiter*innen-Programm“ das positive Erlebnis der Selbstwirksamkeit. Sie merken, dass sie selbst etwas gegen den Fachkräftemangel tun können und nicht nur warten und hoffen müssen, dass die Personalabteilung mal endlich attraktivere Stellenanzeigen formuliert oder die Unternehmenskommunikation mal endlich einen TikTok-Kanal eröffnet. Das steigert zusätzlich die Motivation.
Denkst du, dass Wechselprämien und Mitarbeiter*innenempfehlungsprogramme im Pflegebereich langfristig erfolgreich sind bzw. sein können?
Wechselprämien schüren nur Neid in der Belegschaft, Mitarbeiter*innenempfehlungsprogramme dagegen sind sehr sinnvoll, denn sie drücken Wertschätzung für die eigenen Mitarbeiter*innen aus. Insbesondere wenn ein Unternehmen wie die DRK Kliniken Berlin in seiner Employer Brand („Wir bedeuten einander etwas“) ganz konkret auf das Miteinander im Unternehmen abzielt, auf Arbeitsatmosphäre, Teambuilding & Co., müssen die Recruitingmaßnahmen dazu passen und die Arbeitgeber*innenmarke nicht konterkarieren. Eine Wechselprämie würde das tun.
Um langfristig erfolgreich zu sein, kommt es dabei aber nicht auf die Höhe der Prämie an, sondern darauf, das Mitarbeiter*innenempfehlungsprogramm intern wie extern regelmäßig in Erinnerung zu rufen. Bei den DRK Kliniken Berlin machen wir das mit einer Interviewserie im Karriereblog. In den Blogartikeln werden die Tandems aus den empfehlenden und empfohlenen Mitarbeiter*innen auf sehr persönliche Weise vorgestellt. Die Beiträge werden auch in unseren Social Media-Kanälen auf Instagram, LinkedIn, Facebook und TikTok geteilt.
Die Zahl der eingegangenen Empfehlungen messen wir nicht. Wir können aber sagen: im Jahr 2023 haben 44 und im Jahr 2022 haben 46 Kollegen*innen eine Prämie von 1.500 € brutto ausgezahlt bekommen, weil sie Freund*innen oder Bekannte als Mitarbeiter*innen empfohlen haben und es auch tatsächlich zur Einstellung und bestandenen Probezeit kam. Im Rahmen einer qualitativen Auswertung lernen wir aus den Erfahrungen und optimieren das Programm ständig.
Unser Empfehlungsprogramm in dieser Größenordnung können wir noch mit einer Exceltabelle bewältigen. Bei größeren Unternehmen empfiehlt sich eine digitale Lösung wie die von Radancy (ehemals Firstbird) oder CleverConnect (ehemals Talentry), mit der sich die Empfehlungen und weitere Kennzahlen wie Top-Empfehler*innen noch besser dokumentieren und auch interne Werbeaktionen starten lassen – die aber natürlich Lizenzgebühren kostet.
Denkst du, dass Arbeitgeber*innen in der Pflege eher auf Mitarbeiter*innenempfehlungsprogramme oder auf Wechselprämien setzen sollten (oder auf keines von beiden)?
Wechselprämien bringen nichts bzw. schaden sie dem anbietenden Unternehmen und der gesamten Branche. Ähnlich wie Prämien für Neukund*innen bei Strom- oder Mobilfunkanbieter*innen führen sie nur zu einem Wechselkarussell der Prämienjäger*innen, von dem niemand etwas hat. Die Generation Z empfindet sowieso schon grundsätzlich weniger Bindung an ihre*n Arbeitgeber*in und orientiert sich – wie kürzlich beim Embrace Festival 2024 in Berlin wieder deutlich wurde – eher am „Purpose“ ihrer eigenen Aufgabe als frühere Generationen. Durch Wechselprämien wird dieser Trend noch verstärkt. Unternehmen hätten mehr davon, wenn sie Maßnahmen zur Steigerung der Mitarbeiter*innenbindung durchführten.
Außerdem entsteht eine Aufwärtsspirale aus immer höheren Wechselprämien, mit denen sich die Unternehmen gegenseitig überbieten, unter der anfangs nur die gemeinnützigen Arbeitgeber*innen, aber irgendwann auch die von Land und Bund geförderten Unikliniken leiden. Ich habe schon von Wechselprämien in Höhe von 6.000 Euro und mehr gehört, das ist wirklich grotesk. Und ich kenne einen Fall von Antrittsprämien für ausländische Pflegekräfte, die sich dann mit der Prämie auf dem Konto flugs wieder in die Heimat abgesetzt haben, ohne die Arbeit je anzutreten.
Gibt es alternative Maßnahmen zur Personalgewinnung, die in der Pflegebranche deiner Meinung nach erfolgsversprechender sind als Fangprämien? Wenn ja, welche?
Natürlich. Ein Mitarbeiter*innenempfehlungsprogramm kann immer nur eine Säule einer modernen, nachhaltigen Recruitingstrategie sein, die auf verschiedenen Säulen fußt. Zu einer solchen Recruitingstrategie, wie ich sie für die DRK Kliniken Berlin umsetze, gehören eine eigenständige Recruitingabteilung als Permanentstruktur, eine professionelle Employer Brand als Leitmotiv, ein schneller, niedrigschwelliger Bewerber*innenservice mit Bewerber*innenberatung per WhatsApp, ein modernes, suchmaschinenoptimiertes, nutzerfreundliches Karriereportal, Social Media- und Suchmaschinen-Marketing, Active Sourcing, Storytelling im Karriereblog und in den sozialen Netzwerken, und vieles, vieles mehr.
Würdest du für eine Fangprämie deinen Job wechseln?