„Es geht mir um das Empowerment“

Porträt Yvonne Falckner
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Seit  2015 bietet Yvonne Falckner mit CareSlam beruflich Pflegenden eine Bühne. Ähnlich wie bei einem Poetry Slam tragen auch hier verschiedene Künstler*innen auf der Bühne ihre eigenen Texte vor. Beim CareSlam stehen Pflegekräfte aus allen Bereichen auf der Bühne und bringen dem Publikum ihren Alltag, ihre Sorgen und ihre Wünsche näher. So soll die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ein Berufsfeld gelenkt werden, dem zu oft nicht zugehört wird. Gerade während der Corona-Pandemie hätte es viel Redebedarf gegeben, doch gerade dann hatten Kulturveranstaltungen wie der CareSlam das Nachsehen. Stattdessen haben Yvonne Falckner und ihr Team eine Petition bei change.org ins Leben gerufen, um eine bessere Entlohnung von Pflegekräften einzufordern. Doch bald soll es auch mit dem CareSlam weitergehen. 

 

Yvonne, wie sieht Deine persönliche Verbindung zur Pflege aus?

Ich bin gelernte Krankenschwester. Seit 1995 bin ich examiniert und ich habe meinen Schwerpunkt auf besonders schwierige Versorgungssituationen gelegt. Dort, wo es den Menschen wirklich nicht gut geht und psychiatrisches und somatisches zusammenkommt, ist mein Einsatzbereich. Heute arbeite ich im Wechsel in der Krankenpflege und in der Bildung.

Die Idee zum CareSlam stammt von Dir. Wie bist Du auf die Idee gekommen?

Die Idee kam mir bei der Bildungsarbeit. Ich habe mit jungen Erwachsenen gearbeitet, die große Probleme mit Vorstellungsgesprächen hatten. Sie waren entweder zu schüchtern oder haben zu dick aufgetragen und haben noch nicht einmal einen Praktikumsplatz gefunden. Ich habe mit ihnen dann theaterpädagogische Übungen gemacht, die ihnen sehr geholfen haben.
Ich kann mich noch gut an eine Situation mit einer Praktikantin und einer Pflegekraft, die schon lange im Dienst ist, erinnern: Die Beiden hatten sich nichts zu sagen. Dabei müssten Pflegekräfte doch so viel zu erzählen haben. In der Pflege bekommt man wie in keinem anderen Beruf Zutritt zu den Lebenswelten anderer Menschen. Wir sind ja überall zu finden: Ob zu Hause oder im Krankenhaus, in den unterschiedlichsten Versorgungsformen. Aber das wird so gar nicht kommuniziert. Da habe ich mir gedacht, ich muss mit Pflegekräften auf die Bühne. Es hat dann allerdings noch einige Jahre gedauert, bis ich es dann wirklich gemacht habe.

Was wollt Ihr mit dem CareSlam erreichen?

Es geht mir dabei um das Empowerment. Ich will erreichen, dass ein Austausch stattfindet, dass die Pflegekräfte sich mit ihrer Expertise auseinandersetzen und auch dass Netzwerke entstehen. Ich wollte einen Ort schaffen, an dem Menschen, die sich sonst selten miteinander austauschen, zusammenkommen. Die Funktionäre stehen ja in der Regel auf anderen Bühnen als die normalen Pflegekräfte. Aber gerade hier ist das Verständnis füreinander so wichtig. Diese Barriere innerhalb der Pflege wollen wir aufbrechen.

An wen richtet sich CareSlam, wer sitzt bei Euch im Publikum?

Ganz querbeet. Neulich haben wir in Augsburg das Friedensfestival eröffnet und hinterher kam eine Frau zu mir und meinte, sie hätte zwar keine Ahnung von Pflege, aber sie hätte bei unserer Veranstaltung viel gelernt und verstanden. Und darum geht es mir auch. Darum, die Menschen für das Thema Pflege zu sensibilisieren und zu zeigen, dass die Pflege etwas ist, mit dem man sich beschäftigen muss.

Was müsste sich Deiner Meinung nach an der öffentlichen Wahrnehmung der Pflegebranche ändern?

Die Menschen müssten sich darüber im Klaren sein, dass die Pflege eine eigenständige Profession ist. Ein Arzt oder eine Ärztin kann mir kein Pflegesetting aufbauen, auch Psycholog*innen können das nicht. Als Krankenpflegerin verbringe ich sehr viel Zeit mit den Patient*innen und fange alle möglichen psychischen, somatischen, familiären Stimmungen auf und das sollte auch gewürdigt werden. Wir gestalten den Alltag in einer Krankengeschichte oder einer psychosozialen Krise und verschaffen unseren Patient*innen in schwierigen Situationen Lebensqualität.
Außerdem ist die Pflege ein Beruf, der anderen Berufsfeldern die Arbeit ermöglicht. Ohne die Pflege können auch Ärzt*innen und Therapeut*innen ihrer Arbeit nicht nachkommen. Die Pflege ist auch eine hohe Kunst und sollte auch als solche wahrgenommen werden.

Das Konzept des CareSlams ist ja auch vom Theater der Unterdrückten beeinflusst. Was macht die Kunst zu so einem guten Vehikel für politische Bildung?

Kunst ist immer ein Schutzraum, in dem ich scheitern kann. Wenn ich im echten Leben als Pflegekraft scheitere, stirbt vielleicht ein Mensch. Auf der Bühne kann ich mich frei ausprobieren. Dort darf man übertreiben und vielleicht auch ein ganz übles Gefühl einfach mal ausleben. Im Alltag darf man seine Patient*innen nicht vor den Kopf stoßen, auch wenn man sich gerade nicht gut fühlt. Aber auf der Bühne kann ich so etwas einfach mal ansprechen, ohne dass ich sofort die ganze Profession schlecht mache. Das ist nämlich der Fehler, den viele oft machen. Dass sie denken, sie dürften nie schlecht über ihre Profession reden, aber nein, wir müssen alle Facetten betrachten. Das ist wichtig und das ist das, was die Bühne möglich macht.
Kunst ist auch immer ein Spiegel. Durch bestimmte Theaterformen kommt ein politischer Prozess in Gang und das ist für alle Beteiligten anregend. Es gibt ein vorher und ein nachher. Das ist ein wichtiger Prozess, bei dem unheimlich viel Lernraum entsteht. Es entstehen unheimlich viele Möglichkeiten zum lernen. Das habe ich auch oft gespiegelt bekommen. Wenn ich zB emails bekommen von jungen Auszubildenden, die bei mir auf der Bühne waren, und dann schreiben, sie hätten fünf Wochen später das beste Referat ihres Lebens gehalten, was sie nie gehalten hätten, wenn sie nicht bei uns gewesen wären. Das finde ich wichtig. Aber auch andere Sachen: Viele sind danach aktiv geworden und haben sich irgendwo angeschlossen und sind aktiv geworden.

Glaubst Du, es gibt noch zu wenige Plattformen wie den CareSlam?

Ich war mit die erste, die in diesem Feld kreativ gearbeitet hat, und ich weiß noch, wie wir abgewertet worden sind. Am Anfang haben alle gesagt, das könne man nicht machen, das würde nicht gehen, aber ich wusste, dass es geht, denn ich habe ja auch unheimlich viel Theatererfahrung. Ich wusste nur noch nicht, wie es geht. Deswegen habe ich das Projekt auch prozessorientiert aufgebaut. Wir machen das ja jetzt schon fast sechs Jahre und es ist ja irgendwie beständig geblieben. Und in dieser Zeit sind wieder 5000 andere kreative Idee oder auch Kopien entstanden. Das funktioniert ganz oft nicht. Das wichtigste ist eben, dass man an den Dingen dranbleibt. Das ist auch Pflege. Ich bin zum Beispiel viel in der Langzeitpflege, ich bleibe an Menschen manchmal jahrelang dran. Und das ist in der Kunst ganz ähnlich. Da muss man jahrelang dranbleiben und dann entstehen dadurch auch Strukturen. Wir haben nichts davon, jede Woche eine neue kreative Idee an den Start zu bringen.

Warum gibt es beim CareSlam keine Gewinner*innen?

Ich musste erst erforschen, wie man so etwas auf die Bühne bringen kann. Aber mir war gleich klar, dass es hier keine Gewinner*innen geben darf. Denn der Wettkampfgedanke ist so schon viel zu weit verbreitet – gerade in der Pflege trennt das zu sehr. Man hört zum Beispiel oft, Altenpfleger*innen seien überhaupt keine richtigen Pflegekräfte oder Krankenpfleger seien arrogant. Deshalb war mir klar, es geht nicht darum, einen Wettbewerb zu veranstalten. Sie haben alle unterschiedliche Belastungen zu tragen und die wollte ich ausloten und veranschaulichen. Und das ist uns eigentlich auch ganz gut gelungen.

Es gibt den CareSlam jetzt schon seit fast sechs Jahren. Was hast Du in dieser Zeit für die Pflegebranche erreicht?

Es gibt einige Punkte, bei denen man sagen kann, da sind wir vorangegangen. Ich weiß auf jeden Fall, dass wir die Sprache geändert haben. Zumindest in der Fachwelt. Da wurden immer wieder Sachen von der Bühne übernommen, die wir etabliert haben. Wir bedienen ja mit Absicht auch eine frechere Sprache. Das ist ja auch die Verzauberung der Bühne. Wir müssen nicht immer politisch korrekt sein. Das ist auch wichtig, denn nur so kann man Sachen aushandeln, das schmerzt auch manchmal. Da haben wir auf jeden Fall einiges geändert.
Aber auch im Hintergrund passiert viel. Zur Organisation eines CareSlams gehört im Vorfeld sehr viel Arbeit: Ich muss die Leute suchen, mit ihnen sprechen, zusehen, dass da auch ein Text kommt, den Text dann durchgehen, aufpassen, dass dabei die Schweigepflicht nicht verletzt wird, das muss man alles bedenken in diesem Format.

Was hast Du Sie persönlich in den sechs Jahren CareSlam dazugelernt, was nimmst Du für dich mit?

Mittlerweile kenne ich das Pflegesystem wirklich gut. Am Anfang war ich noch unerfahrener, aber ich war neugierig. Und ich lese ja auch immer die Texte der Teilnehmer*innen und muss schauen, wie das alles miteinander zusammenhängt. Ich würde sagen, dass ich jetzt wirklich einen guten Überblick über das System habe und auch gut beurteilen kann, was die Stärken von einzelnen Personen oder einzelnen Bereichen der Pflege sind und auch, wo es hakt.

In der Corona-Zeit konnten keine physischen kulturellen Veranstaltungen stattfinden und gleichzeitig hat das Thema Pflege eine ganz neue Dringlichkeit bekommen. Wie seid Ihr damit umgegangen?

Während der Corona-Zeit wollte ich auch einen Slam veranstalten, aber da sind mir dann die Pflegekräfte abgesprungen, weil es damals ein Reiseverbot für sie gab. Wir waren also doppelt betroffen. Aber in der Zeit haben wir diese große Petition mit knapp 500.000 Unterschriften aufgesetzt und haben halt so ein bisschen weiter gemacht. Wir arbeiten immer ein bisschen. Mal ein bisschen mehr und mal ein bisschen weniger. Wir horchen immer, was gerade die Stimmungen und was die Schwingungen sind. Das ist, was Theaterleute können, aber Pflegekräfte auch, die horchen auch immer. Aber sie vergessen das.

Hat Corona die Position der Pflegekräfte gestärkt oder gibt es jetzt eher noch mehr Redebedarf?

Ich würde sagen, Corona hat die Pflegekräfte eher geschwächt. Weil sie gezeigt haben, wie uneinig sie sind. Sie haben sich auch mit den falschen Narrativen rufen lassen. Es war von Soldat*innen an der Front die Rede, aber Pflege ist kein Krieg. Das hat die Pflege eigentlich geschwächt. Es gibt auch Viele, die an der Pflege etwas verdienen, aber es sind nicht die Pflegekräfte. Aber niemand kann verdienen, wenn die Pflegekräfte gehen. Ich glaube, die Branche hat das mittlerweile erkannt und hat auch Angst davor, aber die Pflegekräfte haben diese Macht noch nicht erkannt.

Wann steht der nächste CareSlam an?

Im Moment habe ich noch eine Patientin, die ich betreue. Da gibt es aber bald eine Veränderung und dann werde ich wieder anfangen. Ich kann nur noch nicht genau sagen wann, weil sich der Plan der Bühne auch ständig ändert. Da muss man halt schauen, aber ich werde auf jeden Fall weitermachen.

Wie kann man sich als Künstler*in für den nächsten CareSlam bewerben und was muss ich mitbringen, um bei Euch auf der Bühne zu stehen?

Man kann uns ganz einfach anschreiben, eine Email schicken oder uns anrufen. Manchmal frage ich auch Leuten an – also falls ich mal jemanden anschreiben sollte, keine Angst haben! Ich zwinge natürlich niemanden auf die Bühne, aber dann habe ich auf Twitter oder Facebook einen Post oder Tweet gesehen, der mir gut gefallen hat. Wenn ich merke, da ist ein guter Gedankengang dahinter, bin ich neugierig und frage mal nach. Es dürfen sich aber Alle gerne melden, die Lust haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Quellen: 

CareSlam: www.careslam.org

Foto: Thorsten Strasas

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