Fotograf und Pflegekraft: Thies zeigt die Gesichter der Pflege

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Hobby und Beruf vereinbaren – das gelingt nur den wenigsten von uns. Fotograf und Pflegekraft Thies Sprenger ist aber noch ein ganz anderer Spagat gelungen: In seiner Freizeit reist er nicht nur durch Deutschland und porträtiert Menschen, er verfolgt damit auch noch ein ganz besonderes Ziel: Thies will den Menschen die wahren Gesichter der Pflege zeigen. Sein Projekt auf Instagram soll zeigen, wie sich der Pflegenotstand in Deutschland ganz individuell bei Pflegekräften bemerkbar macht.

Notaufnahme, Zivildienst, Zeitarbeit…

Thies ist Fachpfleger und reist nebenbei als Fotograf durch Deutschland, um seine Kollegen für sein Projekt „Die Gesichter der Pflege“ zu porträtieren. Der 29-Jährige begann seine Laufbahn 2010 mit einem Praktikum und anschließendem Zivildienst in der Notaufnahme. An der Uniklinik Kiel lies er sich zum Gesundheits- und Krankenpfleger ausbilden und arbeitet seitdem (mit einigen Unterbrechungen) in diesem Beruf. Heute ist er in Bremen bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt.

Alle Wege führen in die Pflege

Mit Unterbrechungen – das bedeutet in Thies’ Fall zwei Semester der Wirtschaftspsychologie in Hamburg, ein Praktikum im Bereich Fotografie und der Versuch, sich in dieser Branche zu etablieren, sowie eine Auszeit, die er zum Reisen nutzte. Alle Wege führten ihn aber immer wieder zurück in die Pflege. Im Studium konnte Thies einige Inhalte nicht moralisch mit sich selbst vereinbaren, beim Job als Fotograf war ihm vieles zu unecht und oberflächlich.

Keine perfekte Welt, sondern das echte Leben

Die Vorteile der Pflege liegen für Thies klar auf der Hand. „Ich werde hier von den Patient*innen so genommen wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen. Das findet man nur in ganz wenigen Berufsgruppen.“ Das und das direkte Feedback der Patient*innen sind für den Gesundheits- und Krankenpfleger etwas ganz besonderes. Außerdem erzählt er, dass der Beruf seine Wahrnehmung des Lebens komplett verändert hätte. „Wenn man rausgeht, nimmt man ja nur das Gute und Gesunde wahr, das ist wie eine perfekte „Instagramwelt“. Mit der Pflege nehme ich das Leben als Ganzes wahr – das Krankenhaus ist halt das Real Life in all seinen Facetten.“

„Ich hoffe du hattest eine schöne  Zeit.“

Als der Wunsch nach Veränderung aufkam, war Thies noch in der Kieferchirurgie tätig. Die Station war verhältnismäßig ruhig, also bekam das Team einen zweiten Fachbereich dazu – mit deutlich pflegeaufwendigeren Patient*innen. Das war in Angesicht der Raumkapazitäten und des Personalschlüssels nicht zu schaffen. Die Stimmung im Team kippte. Thies arbeitete zu der Zeit in einer 75%-Stelle, sagte auch mal Nein wenn es um spontanes Einspringen ging und lies sich auch mal länger krankschreiben, wenn es nötig war. „Viele Kolleg*innen fanden das gut und haben mich da bestärkt.“ Den Unmut einiger anderer Teammitglieder bekam er aber trotzdem zu spüren. „Sie fanden es doof, dass ich als junger Mensch nicht Vollzeit gearbeitet habe. Sie konnten es nicht sehen, dass das für mich eine prophylaktische Maßnahme war. Wenn man krank war kamen Kommentare wie ‚Jetzt warst du ja drei Wochen krank, ich hoffe du hattest eine schöne Zeit.“

Eine Auszeit mit Folgen

Die schlechten Arbeitsbedingungen und die aktuelle Situation im Team brachten Thies dazu, seinem Abenteuerdrang nachzugeben. In Israel arbeitete er eine Zeit in einem Hostel, anschließend ging nach Madrid. Gerade in dieser Zeit nahm sich Thies wieder die Zeit zum Fotografieren und porträtierte immer öfter Menschen. Die Inspiration für „Die Gesichter der Pflege“ fand er dann im Holocaustmuseum in Jerusalem. Die Ausstellung „Survivors“ zeigte verschiedene Portraitfotografien von Holocaust-Überlebenden und gab den Opfern ein Gesicht.

Der Wunsch nach Veränderung

„Wir wollen vernünftig arbeiten, aber wir können nicht.“ Das sind die Worte frustrierter, trauriger und verzweifelter Pflegekräfte. Mit seinen Fotos will der Gesundheits- und Krankenpfleger die Menschen hinter dem Pflegenotstand zeigen, auf Probleme aufmerksam machen. Als das Projekt in seinem Kopf entstand, befand sich auch seine eigene Oma im Pflegeheim – und wurde dort nicht optimal versorgt. „Ich sah mich immer in der Rechtfertigung meiner Mutter gegenüber und habe versucht ihr die Situation zu erklären. Die meinte aber ‚Ja, ich kann das verstehen, aber Omi sitzt schon sechs Stunden in ihrer Inkontinenzhose.‘ Ich wusste, dass das komplett menschenunwürdig ist, aber ich stehe da einfach zwischen den Stühlen.“
Also entstand der Wunsch, etwas aktiv verändern zu können – und „Die Gesichter der Pflege“ war geboren.

Pflege oder Fotografie?

Auch wenn in der Pflege nicht alles rund läuft – aufgeben möchte Thies seinen Job deswegen nicht. Ob er aber unter den aktuellen Bedingungen in Deutschland bis zur Rente als Pfleger arbeiten will, weiß er noch nicht. „Ich bin nicht wirklich ein Karrieremensch, ich möchte gar keine Leitungsposition haben oder am Schreibtisch sitzen. Ich möchte nah an Patient*innen bleiben, in einer Dreiviertel-Stelle arbeiten. Finanziell unabhängig sein.“ Ein Wunsch, der aktuell nicht realisierbar scheint – höchstens in einem anderen Land: „Ein Intensivpfleger würde in Luxemburg um die 4.000 Euro in Vollzeit verdienen. Dort verdienen Kollegen aus der Heilerziehungspflege mehr als Geisteswissenschaftler mit einem Masterabschluss.“ Die besseren Arbeitsbedingungen, aber auch die größere Wertschätzung der Arbeit der Pfleger im Ausland reizt Thies besonders. Und mit dieser Ansicht ist er wohl momentan nicht allein.

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