Die Geschichte der Pflege in Deutschland ist geprägt von Fortschritt und Ethik, aber auch von dunklen Kapiteln, vor allem während der Zeit des Nationalsozialismus. Diese ist bekannt für ihre grausamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter auch die Pflegepraktiken, die unter dem Deckmantel der sogenannten Rassenhygiene durchgeführt wurden.
Pflege zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert begann sich die Krankenpflege langsam zu einem staatlich anerkannten Beruf zu entwickeln. Mutige Frauen wie Florence Nightingale und Agnes Karll spielten eine entscheidende Rolle in diesem Prozess. Dennoch wurde der Pflegeberuf von staatlicher Seite oft gering geschätzt. Insbesondere die zweifelhafte Reputation von Personen, die in Krankenhäusern arbeiteten und als unzuverlässig und unqualifiziert angesehen wurden, trug zu einem negativen Bild der gesamten Berufsgruppe bei. Um diesen Missstand zu bekämpfen, gründete die ehemalige Rotkreuzschwester Agnes Karll im Jahr 1903 in Berlin die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands (B.O.K.D.), den Vorläufer des heutigen Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe DBfK). Karll setzte sich außerdem für die Einführung einer dreijährigen Pflegeausbildung ein und prägte die Berufsbezeichnung „Krankenschwester“.
Funktion der Pflege in der NS-Zeit
Im Nationalsozialismus spielten die Pflege und das Gesundheitswesen im Allgemeinen eine zentrale Rolle, wobei das Wohl des Volkes über das Wohlergehen des Einzelnen gestellt wurde. Die Ideologie des NS-Regimes stand im scharfen Kontrast zum christlichen Menschenbild, das den Wert des Einzelnen betonte. Insbesondere Einrichtungen, die sich um psychisch Kranke, körperlich Behinderte und Menschen jeglicher Herkunft kümmerten, wurden von ihnen nicht toleriert. Die Pflegepolitik im nationalsozialistischen Deutschland war stark von der rassistischen Ideologie geprägt. Die Vorstellung einer überlegenen arischen „Rasse“ und der Glaube an die Reinheit des deutschen Volkes führten zu einer Politik der Ausgrenzung und Vernichtung von als „minderwertig“ betrachteten Gruppen.
Die Euthanasie und Aktion T4
Ursprünglich aus dem Altgriechischen stammend und als „guter Tod“ übersetzt, beschreibt der Begriff Euthanasie die Möglichkeit, einen schmerzfreien Tod zu ermöglichen, um Leid und Schmerzen zu verhindern. Im Kontext des Nationalsozialismus wurde dieser Begriff jedoch als Tarnung für ein geheimes Mordprogramm verwendet. Dieses Programm sah die systematische Tötung von Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen vor, die in deutschen Einrichtungen untergebracht waren. Es begann mit der Ermordung von Babys und Kindern und weitete sich schnell auf Erwachsene und ältere Menschen aus.
Die Abkürzung T4 steht für die Adresse Tiergartenstraße 4 in Berlin, wo die bürokratische Leitung ansässig war, die für die Planung und Durchführung der Massenmorde verantwortlich war. Laut einer aktuellen Statistik wurden im Zuge der Aktion T4 etwa 70.000 Menschen von 1933 bis 1945 in speziellen Tötungsanstalten wie Hadamar, Grafeneck und Hartheim getötet, oft durch Vergasung oder tödliche Injektionen, die von Ärzt*innen und Pflegekräften verabreicht wurden. Große Anstrengungen wurden unternommen, um dieses Vorhaben geheim zu halten und die Bezeichnung T4 blieb der Bevölkerung lange Zeit unbekannt.
Das berufliche Verständnis von Pflegekräften während der NS-Zeit
Die traditionelle Aufgabe und Rolle von Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen und Krankenschwestern, Menschen zu heilen, stand oft im Konflikt mit der Politik und der Ideologie des NS-Regimes. Während dieser Zeit spielten sie alle eine entscheidende Rolle. Einige folgten den Anweisungen der Regierung und beteiligten sich aktiv an den Euthanasie-Programmen, während andere sich weigerten oder sogar Widerstand leisteten. Diejenigen, die sich weigerten, an den Verbrechen teilzunehmen, riskierten ihre Karrieren und oft auch ihr Leben.
Ein Beispiel hierfür ist Schwester Mariophila Holzapfel, die von 1930 bis 1948 Oberin im Marienhospital war. Zeitzeugen beschreiben sie als herzensguten Menschen, der es gelang, das Marienhospital während der NS-Zeit von der nationalsozialistischen Ideologie fernzuhalten. Die Einrichtung hielt sich auch nach Hitlers Machtübernahme 1933 an den Grundsatz, bei der Aufnahme von Kranken nie nach Glaubensbekenntnis und Religionszugehörigkeit zu fragen.
Trotz des Drucks von außen blieben Pflegekräfte wie Schwester Mariophila Holzapfel standhaft und verweigerten die Beteiligung an den Verbrechen des NS-Regimes. Ihre Handlungen waren von Mut und einem starken ethischen Bewusstsein für die Würde und das Wohl ihrer Patient*innen geprägt, unabhängig von politischer Ideologie oder staatlichen Anordnungen. Ende August 1939 wurde dann das Marienhospital von der Wehrmacht beschlagnahmt und zum Reservelazarett, ein Krankenhaus für verletzte und kranke Soldaten, außerhalb des Kampfgebiets erklärt.
Die Nachwirkungen und Erinnerungskultur
Die Euthanasie-Programme und die Pflegepraktiken während der NS-Zeit hinterließen tiefe Wunden, die bis heute spürbar sind. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wurden die Verbrechen der Aktion T4 vor Gericht gebracht und viele der Täter zur Rechenschaft gezogen, wie z.B. Irmgard Huber. Als Oberschwester der Tötungsanstalt Hadamar wurde sie im Jahr 1945 wegen Mordes angeklagt und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Ihre Haftstrafe wurde kurz darauf um 8 Jahre verlängert.
Die Pflege während der NS-Zeit ist ein erschütterndes Kapitel in der deutschen Geschichte der Pflege und der Menschlichkeit. Indem wir uns mit dieser Vergangenheit auseinandersetzen, können wir die Bedeutung ethischer Pflegepraktiken in der Gegenwart und Zukunft erkennen. Es liegt an uns, sicherzustellen, dass die Lehren aus der Geschichte nicht vergessen werden und dass sich solche Gräueltaten nie wiederholen.
Quellen
- ushmm.org: https://encyclopedia.ushmm.org/
- steiner-verlag.de: https://www.steiner-verlag.de/
- marienhospital-stuttgart.de: https://www.marienhospital-stuttgart.de/
- monami.hs-mittweida.de: https://monami.hs-mittweida.de/
- unipub.uni-graz.at: https://unipub.uni-graz.at/
- medwing.com: https://medwing.com/
- bibliomed-pflege.de: https://www.bibliomed-pflege.de/