Drogenmissbrauch in der Pflege: „Meine Chefin wusste von meiner Sucht.”
Der Druck auf das Personal in der Pflege nimmt immer weiter zu. Überstunden, schlechte Arbeitsbedingungen und viel zu viel Verantwortung lassen Menschen in der Pflege nicht nur ausbrennen, einige von Ihnen scheinen auch zu anderen Mitteln zu greifen. Drogenmissbrauch in der Pflege ist leider kein neues Thema und doch fehlt hier noch immer genug Aufklärung. Aus diesem Grund haben wir euch zu euren Erfahrungen mit dem Thema befragt und auch mit einem Betroffenen gesprochen. Wie sieht es denn nun wirklich aus, warum greifen Pflegekräfte zu harten Mitteln wie Drogen oder Alkohol? Ein Versuch, dem Ganzen etwas näher zu kommen.
Besitzen Pflegekräfte ein höheres Suchtpotenzial?
Menschen, die in der Pflege tätig sind, sehen sich oftmals mit dem Thema Sucht konfrontiert. Die Betreuung von Suchtkranken aber auch problematischen Verhaltensauffälligkeiten, beispielsweise in der Altenpflege, können ein höheres Risiko für Pflegekräfte darstellen. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen weisen allein 15% der über 60-Jährigen einen erhöhten Alkoholkonsum auf.
Wir haben ebenfalls eine Umfrage gestartet und wollten eure Erfahrungswerte zum Thema Drogenmissbrauch in der Pflege wissen. 54% unserer Instagram Community hat auf die Frage „Habt ihr bereits Erfahrungen mit dem Thema Sucht auf der Arbeit gemacht” mit „Ja” abgestimmt. Einige von euch haben uns auch verschiedene Situationen geschildert. So war es nicht untypisch, dass Patient*innen auch mal zur Flasche greifen. In einem besonders traurigen Fall starb eine Patientin, die zu viel getrunken hatte und gestürzt war, an einer Hirnblutung. Des Weiteren gab einer von euch an, dass gefühlt jeder Dritte die Diagnose „Alkoholsucht” in den ländlichen Pflegediensten habe. Eine weitere erschreckende Nachricht: „Ich selbst habe eine Therapie mit Entzugsklinik besucht, da mich Kolleg*innen auf Amphetamine gebracht haben.”
Habt ihr mit dem Thema auf der Arbeit zu tun?
31 Jahre süchtig mit allen Downfalls und dem was dazugehört
Wieso greifen Pflegekräfte zu Drogen oder Alkohol? Liegt es überhaupt an dem Job oder hat das andere Gründe? Um ein besseres Verständnis für die Thematik zu erhalten, haben wir uns mit einem Betroffenen unterhalten, der einst süchtig war. Um genau zu sein war Alex 31 Jahre lang süchtig nach Heroin, Koks, Benzo und Cannabis. Das mag zunächst sehr abschreckend wirken, doch wer ist dieser Mensch eigentlich hinter seiner Sucht? Auf seinem Instagram Account gibt der gebürtige Schweizer erfolgreich Aufklärung zum Thema. In regelmäßigen Stories oder Livestreams interviewt auch er Betroffene und spricht über das Thema, denn wie er uns auch bestätigt, ist „Kommunikation das A und O”. Er spricht gerne über seinen Job in der Pflege und ist glücklich, da wo er ist, denn dort nimmt man ihn mit seinen Ecken und Kanten. Aber wie sieht es jetzt mit der Drogensucht aus? Auf die Frage, ob er sich an den ersten Moment erinnern kann, an dem ihm bewusst wurde, dass er süchtig ist, antwortet er uns: “Nach dem ersten Konsum wusste ich, dass ich süchtig bin. Die Grenze ist ein sehr schmaler Grad, aber mir war sofort bewusst, dass ich jetzt ein Problem habe. Ich habe alles mitgenommen, die ganzen Downfalls, Stimmungsschwankungen und vor allem die Veränderungen an meinem Körper.” Es sind die äußerlichen Merkmale, die Alex besonders beschreibt. Sein Körper begann zu streiken und da wusste er, dass er etwas ändern muss.
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„Ich habe offen darüber geredet”
Was für viele unvorstellbar ist, hat Alex einfach gemacht. Für sein Vorstellungsgespräch hatte er sich damals kaum vorbereitet, gut reden konnte er aber was im Gespräch passiert ist. Damit hat er wohl auch nicht gerechnet. Es gab diesen einen Moment im Vorstellungsgespräch: „Ich wusste einfach nicht mehr was ich antworten soll und dachte mir, jetzt sage ich einfach die Wahrheit und das habe ich dann getan.” An dieser Stelle war es wohl das Beste, was er hätte tun können, denn seine Chefin hat ihm zugehört und ihn als Menschen hinter der Sucht gesehen. Für sie war es wichtig, dass er sich auf der Arbeit an die Regeln hält und das tat er auch. Er ergänzt: „Die Tatsache, dass sie mich mit meiner Geschichte genommen hat, da war ich sehr dankbar und das habe ich ihr auch immer wieder gesagt.” Es wird sehr deutlich, dass das Sprechen über Drogenmissbrauch in der Pflege oder im Allgemeinen wichtig ist. Betroffene fühlen sich oft allein gelassen oder missverstanden und das einfache Zuhören und der Ansatz, das Ganze verstehen zu wollen, zeigt Süchtigen auf, dass andere helfen wollen und vor allem können. Auf die Frage, ob der Stress in der Pflege dazu beigetragen hat, antwortet Alex eher überraschend: „Ich liebe meinen Job, es ist für mich sogar eher eine Berufung und das Lächeln der Patient*innen gibt mir so viel zurück. Klar ist es auch mal stressig, aber das was man zurück bekommt ist so viel mehr wert. Außerdem wäre es mir im Traum nicht eingefallen, Medikamente auf der Arbeit zu nehmen, das wäre für mich ein Schritt zu viel!”
Jede Suchtgeschichte ist individuell
Im Fall von Alex war es nicht die Belastung im Job, doch das schließt das Andere leider nicht aus. So hat uns beispielsweise eine Followerin von einem Fall erzählt, in dem ein*e Kolleg*in Tilidin geklaut hat, da die Belastung auf der Arbeit unerträglich war. Und immerhin 5% der Befragten gaben an, dass sie auch schon einmal darüber nachgedacht haben, Medikamente von der Arbeit mitzunehmen und zu nehmen, da sie mit dem Stress im Pflegeberuf nicht mehr zurecht kommen. Leider ist es nicht schön zu reden, dass Pflegekräfte auf den Zahnfleisch gehen und täglich einem hohen Maß an Stress ausgesetzt ist. Das hat gerade erst unsere Umfrage schmerzlich aufgezeigt.
Genau hier gilt es anzusetzen. Es gibt nämlich auch positive Beispiele. So berichten uns einige aus der Community, dass sie Ansprechpartner*innen haben, bei denen Sie Probleme ansprechen können. Das ist auch etwas, was sich Alex mehr wünscht. “Wir brauchen mehr Anlaufstellen für Süchtige oder suchgefährdete Menschen, denn umso öfter man darüber spricht, desto einfacher ist der Weg da raus!” Auch Kleinigkeiten, wie das Abschalten nach der Arbeit, durch bewusstes Zeit Nehmen für sich selbst oder auch mit seinem Vorgesetzten über Lösungen sprechen zu können, sind hilfreich. Denn am Ende des Tages, ist der Beruf in der Pflege etwas besonderes und schönes. Wir geben Menschen Selbstbestimmung wieder und begleiten sie in schweren Zeiten und das können wir am besten, wenn wir auch an unsere psychische Gesundheit denken.
Hilfe für Betroffene
Ihr wisst nicht mehr weiter oder möchtet jemandem helfen? Unter diesen Nummern erhaltet ihr Hilfe:
Bundesweite Sucht- und Drogen-Hotline: 01806 – 31 30 31
Die Telefonseelsorge: 08001110111
Kinder und Jugendtelefon: 116 111
Elterntelefon: 0800-111 0 550
Ihr seid nicht alleine!