Gesundheitsrisiko: 702 Millionen unbezahlte Überstunden in Deutschland!
Im „Freizeitpark Deutschland“ werde zu wenig gearbeitet. Das meint zumindest CDU-Politiker Jens Spahn und fordert längere Arbeitszeiten, um eine Wohlstandssicherung zu garantieren. Auch Michael Kretschmer äußerte sich gegenüber dem “sinkenden Arbeitsvolumen” in Deutschland negativ. Ein Blick in die Pflegebranche beweist jedoch das genaue Gegenteil. Zwei Drittel des Pflegepersonals in Deutschland macht Überstunden. Allein 2022 wurden 1,3 Milliarden Überstunden in Deutschland geleistet, davon 702 Millionen unbezahlt. Es mangelt also nicht an der Arbeitsmoral, ganz im Gegenteil: Es besteht eine große Gefahr. Zu viele Überstunden können Burnout und andere Krankheiten fördern. Und wie werden unbezahlte Überstunden eigentlich rechtlich behandelt und warum konnte es überhaupt zu diesem Missstand kommen?
Unbezahlte Ausbeutung ist Realität für Pflegekräfte
Die Pflegerin Fee berichtet auf Instagram von ihren Erfahrungen. Nach einem sechsmonatigen Außeneinsatz im Pflegeheim und ambulanten Dienst erzählt sie von „praktisch keinerlei Mitspracherecht“. Einfluss auf ihren Dienstplan durfte sie also auch nicht nehmen. Manche ihrer Kolleg*innen mussten sogar 14 Tage am Stück arbeiten, obwohl eine 5-Tage-Woche vertraglich vorgesehen war. Da diese Überstunden nicht abgesprochen und erst recht nicht legal waren, wurden sie nicht ausgezahlt oder abgebaut. Fee sprach sich gegen diese unfaire Behandlung aus, aber machte sich bei ihrer Stationsleitung lediglich unbeliebt. Dementsprechend verließen schon im ersten Lehrjahr zehn Schüler*innen ihren Kurs.
Fees Schicksal teilen sehr viele Pfleger*innen in Deutschland. Aufgrund des Fachkräftemangels in der Branche sind Überstunden oftmals notwendig, um das Wohlergehen der Patient*innen zu sichern. Aus diesen Arbeitsbedingungen resultiert wiederum der Mangel. Der Teufelskreis geht weiter und darunter leidet hauptsächlich eines: Die Pflege. Die Überstunden stellen nämlich auch ein Gesundheitsrisiko dar. Das Risiko für Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Burnout steigt, aber auch die Wahrscheinlichkeit von Arbeitsunfällen wird größer. Die Zeit für eine ausreichende Regeneration fehlt.
Was zählt als Überstunde?
Das Arbeitsgesetz definiert relativ eindeutig, wie hoch die Arbeitszeit in Deutschland sein darf. An einem Tag sollten nämlich höchstens 10 Stunden gearbeitet werden. Dabei muss der tägliche Durchschnittswert nach 6 Monaten bei 8 Stunden liegen. Anfallende Überstunden müssen demnach wieder abgebaut werden. Nur bei Berufen mit Bereitschaftsdienst ist eine zwölfstündige Schicht zulässig. Das gilt jedoch nur für geplante, also angeordnete Überstunden. Bei Notfällen sind ungeplante Überstunden legitim.
Die Realität sieht aber anders aus. Hier werden regelmäßig ungeplante Überstunden übernommen. In dem Fall wird der Notfall zur Regel. Trotz dieses rechtlichen Missstandes bleibt den Pfleger*innen dann oft nur, zwischen Menschenleben und dem eigenen Privatleben abwägen zu müssen.
Mehr Teilzeit- und Zeitarbeit
Insbesondere für Teilzeitkräfte, also 49% der Pflegekräfte, sind Überstunden nicht nur illegal, sondern eine große Last. Man entscheidet sich nämlich für eine Teilzeitstelle, weil man bewusst weniger arbeiten möchte oder kann. Durch Überstunden kann die Teilzeitarbeit schnell zu einer Vollzeitanstellung werden, welche die Kolleg*innen überlastet. Auch hier ist nur in Notfällen mehr Arbeit zulässig und nicht legitim, wenn die Ausnahme zur Regel wird.
In der Zeitarbeit hat man mehr Mitbestimmungsrecht in Bezug auf den Dienstplan und Überstunden. Darauf sollte unbedingt geachtet werden!
Arbeit ohne Ende?
Wahrscheinlich müssen sich Pfleger*innen weiterhin überlasten, um den Qualitätsstandard ihrer Patient*innen zu halten. Weiterhin werden regelmäßige Einsätze als „Notfälle“ abgetan und/oder nicht vergütet. Weiterhin wird, anders als Spahn behauptet, in der Pflege zu viel und nicht zu wenig gearbeitet. Da die Pflege eben mehr als ein Beruf ist, lässt sich das schwierig korrigieren. Deshalb sollten Überstunden immer genau dokumentiert werden. Folgende Maßnahmen könntest du noch ergreifen, wenn du illegitime Überstunden leisten musst:
- Auf das Arbeitsrecht berufen! Ungeplante Überstunden müssen mit einem Freizeitausgleich abgebaut oder finanziell vergütet werden.
- Schon beim Arbeitsvertrag auf eine Überstundenregelung achten! So kann Diskussionen vorgebeugt werden.
- Genaues Dokumentieren der Überstunden! Tools wie der Ver.di Überstunden-Rechner können dich dabei unterstützen.
- Absprache mit den Kolleg*innen! Eventuell kennen sie den Betrieb schon gut und können helfen.
Quellen
- doctari: https://www.doctari.de/
- welt.de: https://www.welt.de/
- Instagram: Pfleger.ricardo: https://www.instagram.com/
- pflegenot-deutschland.de: https://www.pflegenot-deutschland.de/
- statista.de: https://de.statista.com/
Wie viele Überstunden habt ihr 2023 gemacht?