Leiharbeit in der Pflege verbieten? Eine Pro- und Contra-Übersicht

Symbolbild: Leiharbeit verbieten? Pro- und Contra: Frau, die einen Daumen hoch und einen runter hält
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Tschüss Festanstellung, hallo Zeitarbeit: Für diesen Wechsel haben sich in den letzten Jahren tausende Pflegekräfte entschieden. Seit Monaten wird über ein Verbot der Leiharbeit diskutiert, es gibt viele Pro- und Contra-Stimmen. Die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft (DKG) sieht ein Verbot als letzten Lösungsweg – Ultima Ratio -, falls die Reformen von Gesundheitsminister Lauterbach nicht greifen sollten. Dass es soweit kommt, hält der wissenschaftliche Dienst des Bundestages jedoch für abwegig. Der Grund: Ein Verbot sei verfassungswidrig, da es in die freie Berufsausübung eingreift, die im Grundgesetz verankert ist. Wir haben unsere Community nach ihrer Meinung gefragt: Die Pflegekräfte Katha, Stefan und Merthe geben einen Einblick in ihre Pro- und Contra-Sichtweisen.

Pro Leiharbeit – gegen ein Verbot

Katha

Aussage: Leiharbeit wird zum Regelfall und spaltet die Belegschaften”, sagt die DKG.

Leiharbeit wird dann zum Regelfall in einer Einrichtung, wenn das vorhandene Stammpersonal auf Dauer nicht ausreicht, um die Dienste entsprechend der Vorgaben des Gesetzgebers abzudecken.

Das kann bedeuten, dass es nicht genügend Mitarbeiter*innen gibt, keine Neueinstellungen möglich sind und selbst Auszubildende fehlen oder nach ihrer Ausbildung nicht bleiben.

An der Stelle sollten alle nach dem Warum fragen. Hoher Krankheitsstand bei den vorhandenen Mitarbeitenden deutet meiner Erfahrung nach auf ein Arbeitsumfeld hin, das krank macht.

Neue Kolleg*innen werden nicht nur aufgrund des Personalmangels schwer zu finden sein, sondern auch, weil die Einrichtung möglicherweise einen schlechten Ruf hat. Azubis bleiben vielleicht nicht, weil sie nach neuen Herausforderungen suchen, sondern auch, weil sie nicht in einem Umfeld bleiben wollen, das ihnen eine schlechte Ausbildung und schlechte Behandlung bietet.

Diese Probleme sind hausgemacht. Ein Arbeitgeber, der sich um ein gutes Arbeitsklima kümmert, Mitarbeiter*innen und Schüler*innen respektiert, Kolleg*innen würdigt, Teamaktivitäten fördert, Weiterbildungsmöglichkeiten bietet, Verständnis zeigt, offen kommuniziert, die Wichtigkeit der Pflegearbeit erkennt, großzügig bezahlt und zuverlässige Dienstpläne erstellt, dem läuft das Stammpersonal nicht davon.

Angesichts der Herausforderungen, mit denen das Personal in diesem sozialen Beruf konfrontiert ist, ist es nur fair, dass es anständig behandelt und bezahlt wird. Ist das der Fall, wird Leiharbeit nicht zum Regelfall, sondern ist die Ausnahme.”

Aussage: Leiharbeitende bekommen ihre Wunschschichten, während die Stammbelegschaft die Lücken im Dienstplan füllen muss.”

Leiharbeiter*innen haben kein Stammhaus, kommen in die Einrichtungen, in denen gerade Land unter ist, haben weitere Arbeitswege, kennen die gewohnten Abläufe nicht, kennen Patient*innen/Bewohner*innen nicht und ihre Kolleg*innen ebenso wenig. Dafür erhalten sie mehr Lohn und haben den Luxus, sich auszusuchen, wann sie arbeiten möchten.

Diese Problematik ist auch eng verbunden mit der ersten Aussage: Wenn Stammpersonal die Lücken füllen muss, dann ist Leiharbeit bereits ein fester Bestandteil in einer Einrichtung und das wiederum ist Sache des Arbeitgebers. Ist der Chef nicht fähig, sein Personal menschlich und fachlich gut zu führen und finanzielle Anreize zu schaffen, kommt eben nur Murks bei raus.”

Aussage: Wird die Leiharbeit verboten, wechseln die Pflegekräfte wieder zurück in die Stammbelegschaft.”

Wenn man mit Pflegekräften spricht und fragt, wieso sie in die Leiharbeit gegangen sind, kann man die Antworten im Groben in drei Kategorien einteilen.

1) mehr Geld
2) möglichst schnell viel lernen
3) Bedürfnis, nie lange am selben Ort, mit denselben Kolleg*innen zu arbeiten oder dasselbe Klientel zu versorgen

Diejenigen, die rein für das Geld in die Leiharbeit gegangen sind, lassen sich sicher nicht ins Stammpersonal zurückdrängen, wo sie für dieselbe Arbeit deutlich weniger Geld bekommen würden.

Diejenigen, die die Routine meiden und Abwechslung suchen, indem sie Leiharbeit wählen, weil sie das übliche Stationsdrama nicht interessiert und sie die Freiheit haben wollen, dass der Arbeitgeber nicht die Einrichtung ist, sondern die Firma der Leiharbeit, werden kaum zu halten sein. Ebenso wenig wie diejenigen, die ihr Wissen zügig vergrößern und möglichst viel erleben möchten. Die zwei Gruppen sehe ich eher in Notaufnahmen oder ähnlichen Bereichen wie Rettungssanitäter*innen oder Dispatchers in Notrufzentralen, da herkömmliche Stationen und Pflegeeinrichtungen nicht ihren Bedürfnissen entsprechen.

Der ein oder andere kommt sicher ins Stammpersonal zurück. Vielleicht als Teilzeitkraft, vielleicht kündigt er dann alle zwei Jahre und sucht sich immer neue Stellen. Die meisten würden aber der Pflege den Rücken kehren, denke ich.”

Aussage: Leiharbeiter sind viel zu teuer.” 

Leiharbeiter*innnen sind teuer und dürfen sich die Rosinenschichten rauspicken, weil sie das, was das Stammpersonal als Nachteil empfindet (weite Arbeitswege, keine Routine in Abläufen, akute Krisensituationen in der jeweiligen Einrichtung, keine Zugehörigkeit zum Team usw.) akzeptieren und entsprechend entlohnt werden.

Ich würde mir auch die besten Schichten heraussuchen, wenn ich schon dahin rennen muss, wo es brennt. Den Leiharbeiter*innen da einen Vorwurf zu machen, ist schwachsinnig. Dem Arbeitgeber einen Vorwurf zu machen, der die Lage erst so weit hat kommen lassen – das würde mehr Sinn machen.

Egal, wie ich es drehe und wende, am Ende des Tages ist der größte gemeinsame Nenner bei dieser Thematik der Arbeitgeber. Die Politik gibt die Rahmenbedingungen vor. Die sind überall gleich. Wir haben alle dieselbe Ausgangslage. Was aber daraus gemacht wird und ob man die Lage besser gestaltet, das haben die Arbeitgeber in der Hand. Pflegekräfte arbeiten gerne dort, wo sie angemessen entlohnt und wertgeschätzt werden, selbst unter schwierigen Bedingungen – vorausgesetzt, der Arbeitgeber ist dazu bereit.”

Katha-2

Aussage: Leiharbeit wird zum Regelfall und spaltet die Belegschaften”, sagt die DKG.

Das sehe ich anders: Leiharbeiter*innen spalten absolut nicht die Belegschaft. Das ist meiner Meinung nach frei erfundene Stimmungsmache von toxischen Führungskräften, die gezielt Festangestellte gegen Leiharbeiter*innen aufhetzen wollen.”

Aussage: Leiharbeitende bekommen ihre Wunschschichten, während die Stammbelegschaft die Lücken im Dienstplan füllen muss.”

Als Leiharbeiter*in bekommt man nicht seinen Wunschplan. Der Dienstplan entsteht in Absprache mit dem Kunden und meistens geht man einen Kompromiss ein. Wir arbeiten alle Schichten, auch am Wochenende und an Feiertagen. Die Leiharbeiter*innen füllen die Lücken bzw. die Dienste aus, die die Festangestellten nicht machen wollen.”

Aussage: Wird die Leiharbeit verboten, wechseln die Pflegekräfte wieder zurück in die Stammbelegschaft.”

Das ist laut interner Umfragen und auch laut der IGZ Befragung falsch. Mit einem Verbot der Leiharbeit würde kaum einer von uns Leiharbeiter*innen zurück gehen in die toxische Hierarchie-Festanstellung. Der Grund: Die meisten haben die Festanstellung wegen toxischer Hierarchien verlassen. Wird Leiharbeit verboten, gehe ich selbst ebenfalls aus der Pflege.”

Contra Leiharbeit – für ein Verbot

Merthe

Aussage: Als Leiharbeiter*in bekommt man mehr Wertschätzung, mehr Gehalt und hat mehr Einfluss auf den Dienstplan.” 

Zwar verdient man in der Leiharbeit besser und ist freier in der Dienstplangestaltung, hat aber indirekt auch Einfluss auf die Dienstpläne der festangestellten Kolleg*innen in Krankenhäusern und Heimen. Durch die Abwanderung des Personals in die Zeitarbeit fehlt das Personal in den verschiedenen Einrichtungen und es entsteht eher ein Notstand, als dass es hilft. Man wird regelrecht gezwungen, Leiharbeiter*innen miteinzubeziehen.”

Aussage: Ohne Leiharbeiter*innen kann das System gar nicht am Laufen gehalten werden.”

Leiharbeit kostet die Unternehmen viel Geld. Denn wenn man sie in Anspruch nimmt, zahlt man nicht nur das höhere Gehalt der Pflegekräfte, das ja im Grunde auch angemessen ist, sondern auch alles andere was dahinter steckt, wie Verwaltungsgebühren, Büroräume und die Gehälter der vermittelnden Firmen. So kostet eine Stunde Leiharbeit oft mehr als das doppelte eines Stundenlohns für eine angestellte Pflegekraft. Da die Zeitarbeit derzeit deutlich zunimmt, merkt man immer deutlicher, dass Unternehmen in die Schieflage geraten, weil sie den erhöhten Preis nicht aufrecht erhalten können. Infolgedessen fallen Einrichtungen weg, weil sie schließen müssen. Alleine bei mir in der näheren Umgebung waren es im letzten Jahr drei stationäre Einrichtungen. Das verschärft den Pflegemangel letztendlich sogar eher.”

Aussage: Leiharbeiter*innen wechseln öfter den Fachbereich und lernen dadurch viel mehr, weil sie über den Tellerrand hinaus schauen – haben also ein umfassenderes Wissen als Stammpersonal, das Jahrzehnte in einer Abteilung ist.” 

Ja, man lernt tatsächlich mehr, da man in viele verschiedene Bereiche kommt und von dem spezialisierten Wissen profitieren kann. Jedoch entspricht dies nicht einer offiziell anerkannten Weiterbildung. Am Ende hat man zwar ein qualifizierteres Wissen, aber keine Anerkennung und somit auch keinen Vorteil, z.B. in Lohnverhandlungen. Besser wäre es, die offiziellen Weiter- und Fortbildungen zu machen, die am Ende auch anerkannt werden. Die werden mittlerweile häufig auch bei den Betrieben mit festem Arbeitsplatz angeboten.”

Aussage: Als Leiharbeiter*in lebt man gesünder, weil man sich den toxischen Hierarchien entziehen kann.”

Ich bezweifle, dass man gesünder lebt, wenn man in der Leiharbeit arbeitet, denn auch dort kann es toxische Hierarchien geben. Genau so wie es in festanstellenden Betrieben ein gutes Arbeitsklima geben kann. Letztendlich kommt es hier ja auf das Zwischenmenschliche an. 

Außerdem hat man auch von der Leiharbeit aus trotzdem z.B. mit den Ärzt*innen von außerhalb zu tun. Ich arbeite mittlerweile ambulant und mache verschiedene Erfahrungen mit verschiedenen Ärzt*innen. Ebenso wie in meinem Krankenhauspraktikum während meiner Ausbildung. Einige denken in Hierarchien, andere betrachten einen auf Augenhöhe. Dem wird man am Ende in der Pflege überall begegnen und kann sich dem auch nicht durch Leiharbeit entziehen.

Schlussendlich lässt sich jedoch sagen, dass ich die Leiharbeit, auch wenn sie vielleicht positive Seiten hat, als eher kritisch betrachte. So wurde z.B. in meinem Betrieb die Langzeitpflege geschlossen, weil die Leiharbeit auf der einen Seite zu kostenintensiv war und auf der anderen Seite dadurch Fehler entstanden sind. So fehlt bei einem ständigen Wechsel z.B. die Zeit, die Leiharbeiter*innen in die Doku der Einrichtungen einzuarbeiten und ihnen die verschiedenen Systeme zu zeigen. Auch kennen die Leiharbeiter*innen die Patient*innen nicht und somit auch nicht ihre Probleme etc. Gerade in der Altenpflege kann das zu einem Problem werden. So ist bei mir im Betrieb eine Person an einer Aspirationspneumonie verstorben, weil durch den ständigen Wechsel keiner mehr wusste, dass dieser Mensch sich verschluckt hatte und auch der Arzt dies nicht wusste, weil er nicht informiert wurde, aufgrund des fehlenden Wissens in der Haustechnik. Ich bezweifle, dass dies ein Einzelfall ist.

Zudem habe ich bei mehreren Zeitarbeitskolleg*innen miterlebt, dass diese z.B. von Demenzerkrankten tätlich angegriffen wurden, weil sie eben nicht wussten, wie man mit dieser bestimmten Person umgehen muss. Durch die fehlende Routine und mangelnde Bezugspflege fühlen sich gerade schwer Demenzerkrankte häufig bedroht und können dann handgreiflich werden.”

Denkt ihr, dass die Leiharbeit eingeschränkt oder gar verboten werden sollte?

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